Brauchen wir einen Trauerknigge? Einen Leitfaden in der dunkelsten Zeit? Wenn ja, warum? Weil wir alle nicht mehr wissen, wie Trauern geht und wie man sich Trauernden gegenüber verhält. Aber auch weil Trauer nicht mehr etwas kollektiv Getragenes ist, sondern im Zuge der Überindividualisierung jeder nach seiner ganz eigenen Fasson trauert. Daran ist grundsätzlich nichts falsch, würden sich die meisten darin nicht nur so verloren vorkommen. Der Umgang mit Trauer und Abschied nach dem Motto: jeder wie er’s mag treibt auch sonderbare Blüten, die von leichtem Unbehagen bis hin zum massiven Fremdschämen alles beinhalten können.
So kürzlich wieder gesehen: Es war eine Trauerfeier, die mit einem kleinen Lichterritual begann. Die Familie und die nahen Zugehörigen saßen schon in der ersten Reihe. Einige offensichtlich enge Freunde, kamen ganz kurz, bevor die Türen geschlossen wurden. Sie stellten nicht nur ihr Licht in die Nähe des Verstorbenen, sondern ließen es sich nicht nehmen, jedes einzelne Familienmitglied in den Arm zu nehmen. So etwas ist zwar gut gemeint, aber ein bisschen peinlich – und vor allem störend. Wer emotional stark betroffen bei einer Trauerfeier in der ersten Reihe sitzt, will nicht kurz vor Beginn fünfzehnmal umarmt werden. Er/sie will sich sammeln, sich innerlich oder maximal am Sitznachbarn halten, ist aufgewühlt und mitunter voller Angst vor der oft schmerzvollen Abschiedszeremonie. Für Umarmungen und den Ausdruck von Anteilnahme ist entweder vor der Trauerfeier Zeit und Raum oder danach.
Das mag kleinlich klingen. Aber man darf dabei nicht vergessen, dass die betroffenen Menschen in diesem Augenblick fast schutzlos sind. Sie haben gar nicht die Kraft, in einem solchen Moment diese übergestülpte Zuneigung abzublocken. Nicht zuletzt ein in der Erziehung begründetes Höflichkeitsgebot lässt sie davor zurück schrecken. Dabei hätten sie als Trauernde jedes Recht dazu. Wer trauert, ist in einem Ausnahmezustand und kann gar nicht mehr aus der Rolle fallen, weil es in einem solchen Moment keine Rolle mehr gibt. Es gibt nur die erbarmungslose Konfrontation mit dem Schmerz. Jedes noch so kleine Quäntchen Kraft wird hier gebraucht um da durch zu kommen.
Also, liebe Mittrauernde: Der Moment der Feier ist nicht wichtig, Sie sind nicht wichtig, und es ist auch nicht wichtig, ob sie genau in diesem Moment kondolieren. Wichtig ist es, in der kommenden langen Zeit für die Trauernden da zu sein, auch nach vier Wochen, sechs Wochen, drei Monaten oder einem Jahr. Trauer dauert, so lange sie dauert. Und hier hat echtes Mitempfinden von anderen reichlich Gelegenheit sich auszudrücken.
Ja, ich glaube, wir brauchen einen Trauerknigge, der uns in vielerlei Hinsicht Grenzen und Möglichkeiten aufzeigt und uns hilft, stärkend, leidend und wachsend in der schwersten und dunkelsten Zeit, die man als Mensch erleben kann, zu verhalten.